Die Geschichte der Stadtapotheke Gera:

Erteilung des Privilegs

Am 4. Februar 1603 erhielt David Oeder durch Prinz Heinrich dem Jüngeren, genannt Posthumus, das Privileg zum Betreiben einer Apotheke in der Stadt Gera. Damit trat in den Jahren schwerer Heimsuchung - die Pest durchzog das Land - die erste öffentliche Apotheke im reußischen Unterland in Erscheinung und die Arzneien mußten nun nicht mehr aus Leipzig, Zeitz oder Altenburg bezogen werden.

Die Stadtapotheke war zuerst in einem alten gräflichen Herrenhause im Areal „Große Kirchstraße/Markt“ (also genau gegenüber dem heutigen Standort) untergebracht und mit besonderen Rechten ausgestattet, deren wichtigstes des Einspruchsrecht bei der Errichtung weiterer Apotheken war („Real-Privileg“).
Dieses Privileg konnte zwar nicht verhindern, daß im Jahre 1674 die fürstliche „Apoteckenstube vffm Schlosse“ (Schloß Osterstein) als „Hofapotheke“ in die Stadt Gera übersiedelte, eine weitere Apothekengründung kann jedoch erst im Jahre 1880 mit der Adler Apotheke erfolgen.

Die Stadtapotheke an verschiedenen Standorten
Stadtapotheke mit Badertor im Hintergrund
Bild vergrössern Stadtapotheke mit Badertor im Hintergrund

Die Geschichte der Stadtapotheke ist überaus wechselvoll. Neben einer außerordentlich positiven wirtschaftlichen Entwicklung, bedingt durch die gute Lage und das Fehlen einer echten Konkurrenz, gab es aber auch Tiefpunkte. So wurde die Apotheke auf Grund „mehrfacher Widerspenstigkeiten“ zwischen dem Stadtmedikus Dr. Zopf und dem damaligen Besitzer Dr. Bauer von 1703 bis 1709 geschlossen. Dr. Bauer kann sich davon wirtschaftlich nicht erholen und nach dem Konkurs erfolgt im Jahre 1717 die Versteigerung. Die Apotheke geht in landesherrlichen Besitz über und wird durch Pächter betrieben.

Erst ab Frühjahr 1804 gab es mit Johann Gottlieb Hedenus wieder einen Apotheker als Besitzer. Da das gegenwärtige Domizil durch den großen Stadtbrand von 1780 immer noch stark beschädigt war, wird die Apotheke an den Kornmarkt in das Gebäude verlegt, in dem später die Hagensche Drogerie untergebracht ist (heute Anbau rechts neben Rathaushaupteingang). Diese Entscheidung hat einen starken Umsatzrückgang zur Folge und es erfolgt eine weitere Verlegung zur Großen Kirchstraße (Gaststätte „Alt Gera“). Von den vielen bekannten Stadtapothekern dieser Zeit sollen an dieser Stelle stellvertretend nur Tobias Conrad Hoppe und Karl Friedrich Gotthilf Zabel genannt werden.

Die Stadtapotheke im Eckhaus Markt 9
Kartusche im historischen Treppenhaus
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Apothekenhöhler mit gemauerten Konsolen
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Schließlich wird die Apotheke durch Dr. Ernst Schröder aus Zeitz erworben und am15.2.1847 in das Eckhaus mit dem berühmten Renaissance-Erker Markt 8/9 verlegt. Mit dem Kauf dieses Hauses erhält der Stadtapotheker auch das freie Braurecht der Altstadtbürger. Die unter der Apotheke gelegenen „Höhler“ geben heute noch ein eindrucksvolles Zeugnis aus der Zeit des Bierbrauens ab.

Im Jahre 1912 erwirbt der Apotheker Carl Hoeppner das Eckhaus mit Apotheke. Die Stadtapotheke entwickelt sich unter seiner Leitung zu einem modernen pharmazeutischen Betrieb. Im vergrößerten Keller entstehen neue Arbeitsräume mit elektrisch betriebenen Maschinen und beachtlichen Laborkapazitäten. Die Offizin wird nach alten Motiven (Laubengänge) wiederhergestellt, die Decke mit Motiven der Pharmazie verziert und schließlich durch eine geschmackvolle Mahagonieinrichtung komplettiert.

Alte Offizin nach 1925
Bild vergrössern Alte Offizin nach 1925
Pharmazierat Carl Hoeppner ist gleichzeitig Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes und im Jahre 1927 maßgeblich an der Gründung der ersten Thüringer Apothekerkammer beteiligt. Er leitet die Apotheke bis zu ihrer Verstaatlichung durch die sowjetische Besatzung am Ende des zweiten Weltkrieges.

Die Stadtapotheke im Sozialismus

Stadtapotheke vor dem Umbau 1978
Bild vergrössern Stadtapotheke vor dem Umbau 1978
In den folgenden 40 Jahren staatlichen Apothekenwesens besitzt die Stadtapotheke immer wichtige zentrale Funktionen in der Arzneimittelversorgung (1960 „Bezirksdepotapotheke“, 1964 Apotheke für den zentralen Notdienst der Stadt Gera) und wird schließlich Sitz des „Pharmazeutischen Zentrums“ mit Herrn OPhR Dietrich Kütz als Direktor. Zu diesem Zentrum gehörten nicht nur alle Apotheken der Stadt Gera und des ehemaligen Landkreises, sondern insbesondere auch sogenannte Querschnittsabteilungen, in denen u.a. der Einkauf, die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln zentralisiert war. Ein wieder einmal fälliger großer Umbau der Stadtapotheke beginnt im Jahre 1978 und führt durch Anschluß an die Fernwärmeversorgung und großzügige Umgestaltung aller Räumlichkeiten zu erheblich besseren Arbeitsbedingungen für alle Angestellten. Eine Besonderheit der Tätigkeiten in sozialistischen Zeiten war in der häufigen defekturmäßigen Ersatzproduktion von Arzneimitteln zu sehen, die gerade mal wieder nicht lieferbar waren, aber dadurch auch eine ganz besondere Herausforderungen an den pharmazeutischen Sachverstand darstellten.

Hustensaftdefektur 1988
Bild vergrössern Hustensaftdefektur 1988
Nach der Wende erfolgt erneut die Privatisierung der Apotheke durch die Treuhandgesellschaft und der jetzige Inhaber Dr. Siegfried Schellin kann am 1.12.1990 die Stadt-Apotheke erwerben, wogegen das Gebäude im kommunalen Besitz verbleibt.

Komplettsanierung der Apotheke

Die neue Offizin 1999
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Im Jahre 1992/93 wird die Apotheke im Rahmen einer befristeten Übergangsregelung durch den neuen Inhaber umgebaut und neu eingerichtet, um den Anforderungen der heutigen Arzneimittelversorgung und den erheblichen rechtlichen Auflagen zu genügen.

Im Jahre 1997 werden Schäden größeren Ausmaßes am historischen Erker sichtbar, die den Gebäudeeigentümer, die Geraer Wohnungsgesellschaft mbH, schließlich veranlassen, eine Komplettsanierung der Gebäude Markt 8 und 9 vorzunehmen. Der gesamte Erker wird abgebaut und aufwändig saniert. Die hinteren Apothekenräumlich- keiten außerhalb des Kreuzgewölbes werden vom Keller bis zum Dach neu errichtet. Die Offizin wird komplett in den historischen Teil verlagert, wodurch große Teile der Einrichtung neu zu fertigen sind. Der Apothekenbetrieb erfolgt fast ein Jahr lang im Ausweichquartier Markt 17, interessanterweise genau neben dem Objekt, in dem die
Stadtapotheke vor 400 Jahren gegründet wurde.

Schon kurz vor der Jahrtausendwende erstrahlen Gebäude und Apotheke im neuen Glanz und sind wieder ein Blickfang für Einheimische und Touristen geworden. Diese Meisterleistung der Denkmalsanierung verbunden mit der Herstellung einer modernen Funktionalität ist inzwischen durch die Verleihung verschiedener Preise gewürdigt wurden. Damit wurde nicht zuletzt ein überaus würdiger Rahmen für das 400’jährige Jubiläum geschaffen und das etwa ein Jahrhundert alte Zitat unseres bekannten Stadtarchivars Ernst Paul Kretschmer

Die Stadtapotheke zur Jahrtausendwende
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„Die alte Stadtapotheke! Im neuen Gewande grüßt sie uns ...“

ist wieder aktueller den je.

Dr. Siegfried Schellin
Gera, am 4. Februar 2003


Jubiläumsbroschüre
Bild vergrössern Jubiläums-
broschüre
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